|
Bohemians Prag |
|
90minutes.de - Fußball in Tschechien kicker.de |
|
14.11.2004, Dolicek, 2. Liga |
Die Bohemians Prag sind eine echte Traditionsmannschaft, die sich seit Mitte der 1990er Jahre zu
einem echten Fahrstuhlteam entwickelt hat. Ein Jahrzehnt zuvor waren die Grün-Weißen auf dem Höhepunkt angekommen,
als sie 1983 ihre einzige Meisterschaft hatten erringen können, doch danach folgte eine stetige Rückentwicklung und
1995 stieg man zum erstenmal in die Zweitklassigkeit ab. Zwei Auf- und Abstiege gabe es seither für die "Känguruhs"
und in der laufenden Spielzeit steht man im Tabellenkeller der zweiten Liga, so daß sich sportliche Probleme zu den ohnehin vorhandenen wirtschaftlichen gesellen. Ihren Namen und ihren Spitznamen haben die Bohemians übrigens aus dem Jahr 1927, als man für eine Australientour seinen Vereinsnamen von AFK Vršovice auf Bohemians (Böhmen = Tschechen) Praha änderte, um so besser sein Heimatland zu repräsentieren. Am Ende der Tour hatte man neben einer Bilanz von 15-2-3 auch noch ein Gastgeschenk in Form eines Känguruhs im Gepäck und man enschied sich stolz, den Namen weiterzuführen, während das Känguruh nicht nur seinen Weg in den Prager Zoo fand, sondern auch ins Wappen der Hausherren. Viktoria Pilsen ist den Bohemians im Vorjahr in die zweite Liga gefolgt, aber der Abstieg gilt als Betriebsunfall und soll sofort wieder korrigiert werden.
Trotz der Tabellenkonstellation sind die Hausherren in der ersten Halbzeit das bessere Team, das schnell die Initative übernimmt und
damit Plzen offensichtlich überrascht, das wohl mit einer defensiveren Einstellung der Hausherren gerechnet hatte. So kommen die
Grün-Weißen zu einigen Torchancen, aber ein Treffer gelingt ihnen nicht und so kann die Viktoria mit laufender Spielzeit ihre Routine
ausspielen und mehr Spielanteile erobern. Bis zur Halbzeit ist die Partie relativ ausgeglichen, danach jedoch sind es endgültig die Gäste, die auf einen Treffer drängen und die Bohemians Praha stehen mit dem Rücken zur Wand, können sich jedoch immer wieder auf Torhüter Kolár verlassen. In der 62. Minute ist aber auch der Goalie machtlos, als ein Eckball der Gäste den nahezu unbedrängten Zakopal erreicht, der keine Mühe hat, das Leder zum 0:1 ins Tor zu bekommen. Das Gegentor weckt überraschenderweise neue Kräfte bei den Hausherren, die sich nicht geschlagen geben, sondern es jetzt ihrerseits noch mal wissen wollen. Vielleicht gibt Plzen das Spiel auch zu sehr aus der Hand, jedenfalls wird Zakopal fünf Minuten vor Schluß zur tragischen Gestalt. Nach einem hervorragenden Alleingang von Bohemians-Verteidiger Matusny, der im Stil eines Superstürmers drei Gegner ausspielt und den Ball von der Torauslinie scharf in die Mitte spielt, ist es ausgerechnet der Schütze des 0:01, der das Leder ein zweites Mal in dieser Partie in die Maschen drischt - dieses Mal sicherlich unbeabsichtigt - und so per Eigentor für das über 90 Minuten gesehen gerechte Remis sorgt.
Die offizielle Zuschauerzahl am heutigen Tag ist augenfällig eine völlige Untertreibung, was daran liegen mag, daß der Andrang wohl
etwas größer ist als erwartet. Noch vor Spielbeginn gehen an der Tribünenkasse die Tickets aus und man entscheidet sich am Ende, die Tore zu öffnen und die Leute einfach so ins Stadion zu lassen, wobei eigentlich unverständlich ist, daß man nicht zu einer Art englischem Pay-and-Enter-System übergeht, sondern auf das Entgelt völlig verzichtet. Wie dem auch sei: der Fanblock der Hausherren hat mit zahlreichen Fahnen und Doppelhaltern Stellung hinter dem Tor bezogen und supportet von dort aus durchgängig, wobei man den Beginn der zweiten Hälfte mit einem Intro mit diversen Pyroartikeln begeht und im weiteren Verlauf des Spiels ein Block-Trikot nebst kleiner Konfetti-Show zu bieten hat. Auffällig ist übrigens, daß die Anhänger der Hausherren einiges an FC-St.-Pauli-Fanartikeln mit sich führen, was über eine Zaunfahne und diverse Pullover bis hin zu den bei den Kiezkickern typischen Totenkopffahnen geht, eine davon originellerweise mit rosa Schädel auf schwarzem Grund. Mit den "Bohemians-Fans against Racism"-Aufklebern, die in aufgeklebter Version zu sehen, am Fanshop allerdings nicht zu erstehen sind, wird dokumentiert, daß sich dieser Konsens wohl nicht nur auf den sportlichen Bereich bezieht. Auch aus Plzen sind ein paar Gäste gekommen, die sich von einem großen Polizeiaufgebot bewacht auf der einen Seite der Tribüne niederlassen und von dort gelegentlich mit Sprechchören und dem Getute von ein paar Fanfaren in den rot-blauen Vereinsfarben auf sich aufmerksam machen. Insgesamt kann man die Partie in Punkto Support ebenso wie das Spiel selbst als kurzweilig und unterhaltsam bezeichnen. Insbesondere ist sie von der Stimmung her deutlich besser als das Erstligaspiel bei Slavia vom Vortag.
Das Stadion Dolicek ist eigentlich der Nachfolger eines 1991 unter dem gleichen Namen errichteten Vorgängers und heißt folgerichtig
eigentlich "Novy Dolicek" - zu deutsch soviel wie "Neue Mulde". Der Ground ist eher einfach gestaltet und verfügt nur über zwei ausgebaute Seiten, hat aber sehr viel Atmosphäre zu bieten und wird von daher dem Begriff "kultig" gerecht. Auf einer Längsseite gibt es eine überdachte Tribüne, die mit Holzbänken ausgestattet ist und hinter einem Tor kommmt eine Traverse hinzu. Die Wellenbrecher sind dort ebenso wie auf der Tribüne in Grün gehalten und überhaupt hat man sorgsam drauf geachtet, alles in den Vereinsfarben zu gestalten. Die beiden unausgebauten Seiten der Anlage sind übrigens nicht begehbar und einfach mit weißen Mauern gegen die Umgebung abgeschirmt. Aus den jenseits der Gegengerade liegenden Häusern hat man trotzdem gute Sicht auf das Geschehen auf dem Platz, was von einigen Anwohnern durchaus genutzt wird. Die Tage der Bohemians in der "Mulde" sind übrigens gezählt: so wie man schon eine Zeit lang gemeinsam mit Slavia Praha das Stadion Strahov genutzt hat - der Stadionname auf dem heutigen Ticket ist nachträglich von Strahov auf Dolicek geändert worden - will man nach der Fertigstellung des neuen "Eden" endgültig mit dem Lokalrivalen zusammenziehen und dort seine Heimspiele austragen.
|